Hochfest der Geburt des Herrn

Christmette im Hohen Dom zu Fulda

Predigt von Bischof Dr. Michael Gerber

Bischof Dr. Michael Gerber predigte zum 1. Advent
Bischof Dr. Michael Gerber predigte zum 1. Advent

- Es gilt das gesprochene Wort -

 „Die Hirten kehrten zurück, rühmten Gott und priesen ihn für alles, was sie gehört und gesehen hatten, so wie es ihnen gesagt worden war.“ (Lk 2,20)

Liebe Schwestern und Brüder!

Wenn ich diese Worte aus dem Lukasevangelium höre, dann gehen meine Gedanken unwillkürlich in das Heilige Land. Einige Male durfte ich die biblischen Orte dort mit Studenten und Seminaristen besuchen. Begegnungen mit den Hirten auf den Feldern rund um Bethlehem oder auch weiter südlich und östlich haben sich mir sehr eingeprägt.
Wenn das Lukasevangelium von Hirten spricht als denjenigen, die als erste zur Krippe kommen, dann spielt diese Textpassage natürlich auf den Hirten und späteren König David aus Bethlehem an. Die Hirten damals in der Region von Bethlehem werden tatsächlich in dem Bewusstsein gelebt haben, dass einer von ihnen vor langer Zeit einmal eine große Verantwortung für das Volk getragen hat.

Sie, die Hirten zur Zeit Jesu auf den Feldern rund um Bethlehem, sie hatten die Verantwortung für ihre Herden und damit die Verantwortung für den Lebensunterhalt ihrer Familien. Wer sich heute als Mitteleuropäer der Landschaft weiter südlich und östlich von Bethlehem nähert – unmittelbar im Norden ist nämlich gleich Jerusalem und damit kein Platz für Tierherden – der kann sich auf den ersten Blick wundern, dass hier überhaupt Hirten mit irgendwelchen Herden unterwegs sind. Wir Mitteleuropäer sind es gewohnt, dass die Rhönschafe zwischen Ulster- Werra- und Fuldatal saftige Wiesen vorfinden. Wer also aus unseren Breiten bei einer Pilgerreise in der Region südlich und östlich von Bethlehem unterwegs ist, der sieht auf den ersten Blick Steppe, Wüste oder bestenfalls Halbwüste. Kann man da Tiere großziehen? Können Tiere da angemessene Nahrung finden?

Die Hirten von Bethlehem waren und sind es gewohnt, die Landschaft, in der sie leben, anders zu „lesen“. Sie sehen nicht nur die Steppe, die Steine und die ausgedörrte, zerklüftete mit Rissen durchzogene Erde. Sondern sie wissen, wo es hier Brunnen gibt, wo genau in dieser Landschaft eben doch mehr Grün zu finden ist, wohin es sich lohnt, mit den Herden aufzubrechen.

Was sehe ich? Bleibe ich stehen bei meinem ersten Eindruck, dass ich nur Wüste und ausgedörrten Boden sehe? Oder bin ich bereit, in meiner Welt noch andere Zeichen und Hinweise auf Leben zu entdecken und ihnen zu vertrauen? Dies ist nicht nur eine Frage für die Hirten von Bethlehem – sondern auch eine Frage an uns, wie wir unsere große und kleine Welt wahrnehmen.

Was sehe ich in meiner großen und kleinen Welt? Keine Frage, harte Brocken, Sand im Getriebe, und Risse, ja vielmehr noch tiefe Gräben sind eine Realität, längst nicht nur auf den Feldern rund um Bethlehem, sondern auch auf den Feldern unseres Lebens. Es bleibt also unsere Aufgabe, solche Graben zu überwinden. Zur Stunde geschieht dies auf sehr eindrucksvolle Weise genau dort, wo vor 2000 Jahren die Hirten gelebt haben. Denn die Nachkommen Davids von heute – Israelis und die Hirten von heute – in der Regel Palästinenser – sind durch eine hohe Mauer und eine inzwischen sehr leidvolle Geschichte und Gegenwart getrennt. Von der Benediktinerabtei in Jerusalem ist jetzt zur Stunde eine Fußpilgergruppe aufgebrochen – darunter auch eine Vertreterin der kirchlichen Jugendarbeit aus dem Bistum Fulda – um mit einer Schriftrolle, auf der die Namen unzähliger Christen stehen, auf die andere Seite der Mauer, nach Bethlehem zur Geburtskirche zu gehen. Das Kind in der Krippe verbindet also auch heute Menschen, deren Trennung scheinbar unüberwindbar ist. Wir hier in der Region sind angesichts 30 Jahre Mauerfall Zeugen, dass keine Trennung unüberwindbar ist.

Zurück zu den Hirten von Bethlehem. In ihrer unwirtlichen Landschaft zeigen sie uns einen Weg auf. Inmitten der Steppe und Wüste haben sie ein Gespür dafür, wo sich neues Leben regt, wo eine Oase Leben ermöglichen kann für Menschen und Tiere. Noch so dürftige Hinweise auf dieses Leben können sie interpretieren.

Diese Haltung, diese immer neue Suche nach aufbrechendem Leben hat ihnen wohl die Ohren und das Herz geöffnet für die Botschaft des Engels in jener Nacht, die wir heute feiern. Sie waren in der Lage, in dem neugeborenen Kind, das mit seinen Eltern Zuflucht in einer einfachen Höhle gefunden hatte, mehr zu sehen, den Anfang von neuem Leben für diese Welt.

Wenn wir heute hier zur Christmette zusammenkommen, dann schließen wir uns über die Distanz von Zeit und Raum dem Zug zur Krippe jener Hirten von Bethlehem an. Nachher geschieht das ganz bildlich, wenn eine Gruppe von uns mit den Messdienern und den Kindern aufbricht zur Krippe. Wir dürfen in diesen Gang zur Krippe die Bitte hinein legen, dass uns die Sinne und das Herz geöffnet werden: Wo will Gott auf den Feldern meines Lebens neues Leben aufbrechen lassen, neu, unerwartet, vielleicht schon längst nicht mehr erhofft. Wo bin ich herausgefordert, einen Graben zu überwinden?

Seien wir aufmerksam, welche Botschaft und welche Krippenerfahrung diese Weihnachtszeit uns schenken möchte. Heute und morgen und in diesen Tagen darf in unserem Herzen die Botschaft des Engels wiederklingen: „Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren, er ist der Christus, der Herr“ (Lk 2,11) Amen.

25.12.2019


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