Gott hinter der Gefängnistür

Erja Lyytinen – finnischer Blues-Rock
Das ökumenische Projekt „Jail House College“ möchte den im Gefängnis
Inhaftierten mit einer „Theologie der Stärkung“ eine Stimme geben und sie mit
den Menschen der Gesellschaft in Kontakt bringen. Mit Hilfe der drei Säulen
Musik, Bildung und Kultur versuchen die Seelsorger eine Präsenz von Glaube und
Hoffnung im Gefängnis zu schaffen. Das innovative diakonische Projekt ist aus
dem Herzensanliegen von einzelnen Gefangenen, Mitarbeitern und Seelsorgern
entstanden, die diese Brücke der Menschlichkeit und des Evangeliums bauen. Das
Projekt hat den Preis für pastorale Innovation, den das Bistum Fulda im Oktober
2019 vergeben hat, erhalten.
Was begegnet GefängnisseelsorgerInnen im Gefängnis? Es gibt unterschiedliche
Erfahrungen, aber das Leben in einer Justizvollzuganstalt ist vor allem
gekennzeichnet von einem massiven Freiheitsverlust, der nicht zu unterschätzen
ist: Die Türen sind zu, es gibt strikte Abläufe und unzählige Ge- und Verbote.
Sinn- und Hoffnungslosigkeit entstehen durch monotone Routine, die alle
Kreativität und persönliche Initiative erstickt. In dieser Situation und an
diesem Ort „Gott“ auf die Spur zu kommen und die Menschen mit dem Evangelium zu
stärken, ist eine besonders herausfordernde Aufgabe. Die Gefängnisseelsorge
heute muss über Ausdauer, Kreativität und eine gute Menschenkenntnis mit viel
Verständnis verfügen, um mit den existenziellen Bedürfnissen, Schmerzen und
Leiden im Leben der Gefangenen, aber auch des Anstaltspersonals umzugehen.
Glaube und Hoffnung
im Gefängnis
Artikel 1 des Grundgesetzes sagt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Sie ist zu achten, sie ist zu schützen, und das ist unsere Bürgerpflicht – auch
hinter Gittern. Als Kirche in Deutschland dürfen wir nicht vergessen: Am Rande
der Gesellschaft werden auch Menschen weggeschlossen, die in den Bistümern,
Dörfern und Städten aufgewachsen sind. Sie sind Teil von unserer
Glaubensgemeinschaft. Sie haben ähnliche Lebensthemen und teilen mit uns das
Drama des Menschseins in unserer heutigen säkularen und komplexen Gesellschaft.
Auf kleinem Raum im Gefängnis sind Hunderte von verschiedensten Schicksalen,
Lebensorientierungen und Nationalitäten geballt zusammengebracht. Das sorgt für
Spannungen und große Unzufriedenheit, für Negativität und Aggression, das
bewirkt eine andauernde Hoffnungslosigkeit und Depression. Inhaftierte brauchen
wie wir alle Zeichen der Hoffnung, Perspektive und neue Gedanken. Sie
benötigen Verarbeitung ihrer Gefühle und Gedanken, ihrer verlorenen Träume. Sie
brauchen Kultur, Zivilisation und Normalität, kurz eine Brücke mit einer
stärkenden und ermutigenden Botschaft.
Das „Jail House College“ möchte den Inhaftierten mit einer „Theologie der
Stärkung“ (Theology of Empowerment) eine Stimme und geistorientierte Sinnhaftigkeit
geben und sie mit den Menschen im Bistum Fulda und der weiteren Gesellschaft in
Kontakt bringen. Mithilfe der drei Säulen Musik, Bildung und Kultur versucht
die Gefängnisseelsorge eine Präsenz von Glaube und Hoffnung im Gefängnis zu
schaffen. Dieser Versuch, einen funktionierenden theologischen Ansatz zur
existenziellen Frustration in Gefängnissen zu finden, wobei die Suche nach Sinn
zentral ist, ist eine große Herausforderung in einem System, in dem Sicherheit
und Ordnung an erster Stelle stehen.
Versuch eines
praktisch-theologischen Ansatzes
Das ökumenische Projekt „Jail House College“ versucht, auch in schwierigen
Zeiten einer „Theologie der Stärkung“ nachzugehen, um einen Unterschied in der
Art und Weise zu bewirken, wie Gefängnisseelsorge den Sinn und Wert des Lebens
verbessern kann. Es ist deswegen weniger ein „missionarisches Projekt“ im
klassischen Sinn, sondern der Versuch, einen „Horizont der Sinnhaftigkeit“ zu
kreieren, der trotz aller gescheiterten Initiativen und gefühlter Erfolglosigkeit
hinter den grauen Mauern Gottesbegegnungen und eine tiefe menschliche
Verbindlichkeit ermöglichen möchte. Wir reden lieber über einen „Horizont“, da
Projekte kommen und gehen und immer wieder scheitern in einem vergitterten
Alltag. Es ist wichtig, so einen spirituellen Horizont zu haben, um die
Hoffnung auf bessere Zeiten für und mit den Gefangenen nicht zu verlieren.
Klar ist, dass jeder Mensch Hoffnung und das gleiche Maß an menschlichem
Wert und Menschenwürde benötigt. Es wird versucht, die Inhaftierten in der JVA
Fulda und der JVA Hünfeld mit Literatur, Kunst, Musik und Poesie und einer
guten Dosis Humor zu ermutigen und zu stärken. Das heißt im Kleinen: mit
Papier, Buntstiften, Büchern und Musik-CD’s auf der Zelle, aber auch mit einer
Reihe von größeren Veranstaltungen und dynamischen Aktionen in
Gemeinschaftsräumen: „Gitarre Dojo“, „Admissio“, „Humor hinter Gittern“, „Knast
Cinema“, „Väter in Haft“, „Divine Concern“, „Finnischer Blues-Rock“, „Ein Abend
in New York“ und noch mehr.
Musik, Bildung und
Kultur
Es bleibt die spannende Frage, ob die Menschen dauerhaft erreicht werden
können, aber es ist sicherlich einen Versuch wert. Das „Jail House College“
möchte mithilfe der drei Säulen Musik, Bildung und Kultur die Menschen im
Gefängnis zum Evangelium inspirieren. Dem heiligen Ignatius von Loyola,
Gründer des Jesuitenordens, war schon klar: ohne Bildung keine Freiheit. Ohne
Bildung, Musik und Kultur können Menschen und Inhaftierte ihre Potenziale nicht
entfalten und wird Resozialisierung eine unmögliche Aufgabe. Die Seelsorger
erfahren bei Inhaftierten den Mangel an grundlegenden Fähigkeiten wie Lesen und
Schreiben. Sie sehen aber auch die emotionalen Anlagen und gebrochenen Leben
Einzelner und deren eingeschränkte religiöse und kreative Möglichkeiten,
Talente zu entwickeln. Dies alles macht es ihnen unmöglich, ein
selbstbestimmtes Leben zu führen ohne Drogen, Alkohol und Straftaten. Aufgrund
der immensen Bedeutung für die Perspektiven von Gefangenen einerseits und des
religiösen Stellenwertes für die Entwicklung der Gesellschaft und Kirche
anderseits setzen sie sich mit dem „Jail House College“ im Rahmen einer
Theologie der Stärkung für gerechtere Bildungschancen ein.
Kreativität als ein
Weg, Türen zu öffnen
Kreativität ist sehr wichtig, sowohl für kirchliche Innovation generell als
auch im Knastalltag. Das Projekt will kreativ finanziert und u.a. durch das
Netzwerk mit Kooperationspartnern wie der Justiz, evangelische Kirche,
Fördervereine der jeweiligen JVA´en, Dekanat Hünfeld-Geisa, verschiedene
Pressestellen und Ehrenamtlichen, die als Musiker, Lehrer und Ausbilder
fungieren. Vor der Corona-Zeit gab es eine enge Zusammenarbeit mit dem
Verein „Förderung der Bewährungshilfe in Hessen e.V.“, speziell mit dem Projekt
„Theater hinter Gittern“ zur Unterstützung der JVA´en im Bereich Theater,
Kunst, Musik und Literatur. Geplant war, Vorlesungen von Hochschulreferenten
ins Gefängnisleben zu integrieren. Leider ist es derzeit nicht möglich, dies
umzusetzen. Ebenso wenig können Musiker, Bands und Chöre engagiert werden, um
ins Gefängnis zu kommen und sowohl für sie als auch mit den Gefangenen zu
singen und zu spielen.
“Das erste Mal in
meinem Leben erfahre ich die Wahrheit dessen, was so viele Denker als der
Weisheit letzten Schluss aus ihrem Leben herausgestellt und was so viele
Dichter besungen haben; die Wahrheit, dass Liebe irgendwie das Letzte und das
Höchste ist, zu dem sich menschliches Dasein aufzuschwingen vermag. Ich erfasse
jetzt den Sinn des Letzten und Äußersten, was menschliches Dichten und Denken
und – Glauben auszusagen hat: die Erlösung durch die Liebe und in der Liebe!”
Viktor Frankl, Trotzdem
Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager,
Kösel-Verlag [1977] 2016
Die COVID-19-Pandemie hat wie überall signifikante Schwierigkeiten und
Probleme für die Projektumsetzung mitgebracht und vieles im Leben hinter den
Mauern verändert, vor allem in den täglichen Sicherheitsabläufen der JVA. Es
bleibt die Hoffnung, nach Corona mit dem „Jail-House-College“-Musikprojekt
„Divine Concern“ wieder intensiver weiterzumachen und JVA-Musikworkshops
anzubieten: einen Schlagzeugkurs, einen Bassgitarrenkurs und Gesangsunterricht.
Vor allem aber, dass der Humor hinter den Mauern nicht verloren wird!
Theologie der
Stärkung?
Im gemeinsamem Kreativ-Sein, Talente-Entdecken und Charismen-Wecken helfen
wir einander und denen in Gefangenschaft, uns unserer gottgegebenen Würde im
Licht des Evangeliums bewusst zu werden. Auf diesem Weg kann der Glaube heute
als lebendig und relevant hinter Gittern erfahren und die Menschenwürde wieder
ins Bewusstsein der Gesellschaft gebracht werden: So bekennen sich unsere
„Theologie der Stärkung“ (Theology of Empowerment) und das pastorale
Gemeinschaftsprojekt „Jail House College“ insbesondere zur Barmherzigkeit
Gottes, zur menschlichen Gemeinschaft des Friedens und zur Gerechtigkeit in der
Welt.
Als Kirche vor Ort setzt sich Gefängnisseelsorge ein, damit die Inhaftierten
die Gemeinschaft mit der Außenwelt nicht verlieren und umgekehrt die Außenwelt
ihre Brüder und Schwestern am Rande der Gesellschaft nicht vergisst. Es bedarf
Brücken der Barmherzigkeit. Das „Jail-House-College“-Projekt und die Theologie
der Stärkung sind aus diesem Anliegen – eine Brücke der Sinnhaftigkeit zu bauen
– entstanden. Mit Musik, Bildung, und Kultur werden die Beziehungen der
Gefangenen nicht nur auf die Freunde und Angehörigen beschränkt sondern die
weitere kirchliche und gesellschaftliche Gemeinschaft verantwortlich und zur
Stärkung einbezogen.
auf Anfrage und Editorial von Dr. Markus-Liborius Hermann; Referat Evangelisierung, Verkündigung und Katechese; Katholische Arbeitsstelle für missionarische Pastoral e. V.
(KAMP
e. V.)
Fotos : Gefängnisseelsorge JVA Hünfeld / JVA
Fulda

Erja Lyytinen - Blues-Rock vom Feinsten
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Erja Lyytinen – finnischer Blues-Rock
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