Vertrauen auf das Leben selbst mit seinen Möglichkeiten

Ein Sommer-Impuls aus der Gefängnisseelsorge

Wie lösen wir uns von unserer inneren Gefangenschaft, von den vielen Irrtümern, überholten Lebensvorstellungen, Emotionen und negativen Verhaltensweisen im 21. Jahrhundert? Unser Leben erscheint uns oft seltsam und wir haben das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Was wünschen Du und ich uns wirklich? Was sind unsere Sehnsüchte, Erwartungen und Elemente eines Lebens: Glaube, Hoffnung, Liebe, Kreativität und Spiritualität?

„Es ist die Frage, die mir keine Ruhe lässt...“, schreibt Gefängnisseelsorger Diakon Dr. Meins G.S. Coetsier.„ Unser Schicksal im 21. Jahrhundert selbst gestalten. Keine Verbitterung mehr spüren. Ist das möglich?“ Auch wenn wir in unserer inneren Gefangenschaft oft das Fliessen unseres Daseins nicht fühlen können, suchen wir alle „den Strom des Lebens,“ das Heißt einen Weg, der uns den Mut gibt uns hineinzubegeben oder hinzugeben. Einen Mut zum Sein. Aber wer entwickelt noch diese Fähigkeit, um so ganz im gegenwärtigen Moment zu leben? Zwischen den vielen weltlichen Irrtümern, Kriegsängsten, Apokalypse-Hysterien und einer gewissen Wollust am Weltuntergang, wer sieht heute noch die Möglichkeiten für wahren Frieden und ist offen für seine Mitmenschen?

Der starre Blick

Menschen stellen häufig frustriert fest, dass das Leben nicht so ist, wie man es erwartet hatte. Ein starrer Blick und einfache schematische Theorien sind häufig die Reaktionen auf schwierige, unerwartete Ereignisse wie eine Pandemie, ein Krieg oder eine Finanzkrise. Wir passen unsere Wahrnehmung der Realität unseren politischen, religiösen und ideologischen Konstrukten an. Der starre Blick sorgt aber für eine Härte in der Seele und vorgefertigte Theorien verdrehen die Wirklichkeit. Ja, es ist nicht einfach – wenn nicht sogar unmöglich – das Leben in seiner Ganzheit zu verstehen oder zu beschreiben. Innerlich frei werden ist, mehr denn je, eine Lebenskunst. Viele Menschen kämpfen mit sich und der Welt. Die Geschichte hat jedoch gezeigt, dass der Mensch im Grunde dazu fähig ist aus seiner eigenen Gefangenschaft zu erwachsen und lernen kann dem Leben wieder zu vertrauen. Was wir allerdings brauchen ist Ermutigung und Unterstützung.

Erfahrung nicht Ideen

In der Tiefe unserer Seele in existentieller Gefangenschaft ersehnen wir die menschliche und spirituelle Erfahrung: ein Leben, das dynamisch und lebendig ist. Erfahrung und ein lebendiger Glaube sind hierbei maßgeblich, nicht die Ideologien. Menschen in ihrer Vielfalt sind viel zu unterschiedlich und passen nicht in das Korsett eines politischen, religiösen, oder ideologischen Konzeptes. Pressen wir uns in Zeiten der Pandemie und des Ukraines-Krieges in feste Kategorien? Dafür ist ein Menschenleben zu kostbar. Unser seelisches Wohlbefinden ist keineswegs ein unbeweglicher Zustand, den wir plötzlich erreichen oder erkaufen können.

Wir versuchen vielleicht mit einfachen Theorien und Konsumverhalten, die negativen Auswirkungen der chaotischen Außenwelt auf uns zu reduzieren. Dies ist jedoch nicht möglich. Du und ich, ob wir mit dem Leben einverstanden sind oder nicht, wir sind mitten drinnen und dazwischen! Wir leben mit unseren Spannungen, Impulsen, Bewegungen und alles ändert sich dauernd um uns herum: dabei sind unsere Erfahrungen und Begegnungen etwas Lebendiges und Wachsendes. Das Leben selbst ereignet sich von ganz alleine, auch in Situationen von Kontrollverlust, die für viele von uns als negativ empfunden werden.

Schauen, was das Leben bringt

Um das Leben heute zu finden brauche ich weder Handy noch Laptop, sondern spirituelle Erfahrungen und Begegnungen. Menschen müssen dabei lernen offen zu sein und im gegenwärtigen Moment zu leben, öfter mal in sich selbst hinein hören. Wenn ich mich nur auf etwas in der Zukunft, in der Vergangenheit, oder auf eine Schlagzeile der Medien fixiere, kann das Leben im Hier und Jetzt gerade nicht fließen oder steht schlimmstenfalls sogar still. Schaffe ich es aber im Hier und Jetzt zu sein, wieder mit Vertrauen Verantwortung für meine persönlichen Entscheidungen zu übernehmen und Menschen in meinem direkten Umfeld – meinem Nächsten – (inklusive mir selbst) mit bedingungslos positiver Zuwendung entgegen zu kommen, dann bin ich Teil eines spirituellen Entwicklungsprozesses geworden, der durch die Liebe stärker ist als der Tod. Offen werden im Alltag für unerwartete Möglichkeiten, für Kreativität und für die veränderliche Einheit ist etwas Schönes und Befreiendes, wobei wieder etwas in der Seele beginnt zu fließen.

Schauen, was das Leben bringt, uns auf diese Erfahrung einlassen und vertrauen, dass es viele Möglichkeiten und Wege gibt, darum geht es! So werden wir trotz allem wieder fähig Gott zu finden, der die Liebe ist, worüber die Religionen, PoetInnen und SchriftstellerInnen schreiben. Wie Jesus von Nazareth uns gezeigt hat, ist dies ein „Mut ohne Gewalt.“ Was Du und ich sein und tun werden, wächst aus diesem Augenblick. Horche in Dich hinein, sei mutig und lebe! Was immer wir in dieser Einstellung zu lieben, denken oder zu tun beschließen – es liegt bei jedem von uns und der Himmel wird es segnen. (pm) +++


Text: Diakon Dr. mult. Meins G.S. Coetsier                                                                                            Bilder:Gefängnisseelsorge JVA Hünfeld / JVA Fulda



Gefängnisseelsorger Diakon Dr. mult. Meins G.S. Coetsier teilt seine Gedanken zum Sommer 2022